DTU-Vizepräsident Musa Cicek wurde am 18. Dezember 2015 vom Untersuchungs- und Sanktionsausschuss der ETU mitgeteilt, dass dort eine Beschwerde gegen ihn eingegangen sei. Diese Beschwerde werde nun von der ETU auf der Grundlage der Ordnung über Streitschlichtungen und Disziplinarmaßnahmen (Artikel 3 der Ordnung) einschließlich eines Verstoßes gegen die Artikel 15 und 16 der Ordnung bearbeitet.
Zur Stellungnahme zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen wurde Musa Cicek aufgefordert, am 17.01.2016 um 11:00 Uhr zu einer Anhörung vor dem oben genannten Ausschuss Stellung zu nehmen. Die Anhörung soll unter der Leitung des Ausschussvorsitzenden Michel Madar unter dem Ausschluss der Öffentlichkeit durchgeführt werden.
Die Beschwerde richtet sich gegen einen Vizepräsidenten des deutschen Fachverbandes. Die gegen ihn erhobenen Vorwürfe sprengen ganz deutlich den Rahmen des Üblichen und lassen deshalb auch viel Raum für offene Fragen.
Nachfolgend soll versucht werden, auf all diese im Raum stehenden Fragen, die mit der Beschwerde im Zusammenhang stehen, eine befriedigende Antwort zu finden.
Was wird Musa Cicek eigentlich vorgeworfen?
So ganz genau kann man das momentan noch nicht sagen. Im Schreiben der ETU vom 18. Dezember 2015 heißt es – vom Englischen ins Deutsche übersetzt – dazu wörtlich:
„Am 28.11.2015 erhielt die ETU eine Beschwerde mit dem Hinweis auf den Beschuldigten in diesem Verfahren, Herrn Cicek. Nach übereinstimmender Aussage von zwei Zeugen habe Herr Cicek Korruptionsvorwürfe gegen die drei Funktionäre der ETU, namens Herr Sakis Pragalos als Präsident, Herr Antonio Barbarino als Schatzmeister und Herr Park Soo-Nam als Vorstandsmitglied der ETU erhoben. Herr Cicek soll während eines Telefongesprächs erklärt haben, dass die oben genannten ETU-Funktionäre Korruption begangen hätten. Außerdem seien die drei Personen an abgesprochenen „gemeinsamen Geschäften“ beteiligt gewesen, mit denen sie Geld unterschlagen und untereinander aufgeteilt hätten.“
Welcher Person hat Musa Cicek denn so einen Vorwurf am Telefon erzählt?
Der Name dieser Person wurde Musa Cicek noch nicht mitgeteilt. Er weiß auch nicht, an welchem Tag dieses Telefongespräch stattgefunden haben soll.
Dem Schreiben der ETU kann entnommen werden, dass der Ausschuss nach der Überprüfung der Beschwerde entschieden hat, den Fall weiter zu untersuchen. Welche Möglichkeiten der Überprüfung stehen dem Ausschuss denn zur Verfügung?
Diese Frage kann man nur beantworten, wenn man auch weiß, welche Beweismittel für diese Behauptung vorgelegt wurden.
Welche Beweismittel kämen denn dafür in Frage?
Man kann davon ausgehen, dass dem Ausschuss ein schriftliches Protokoll mit den erhobenen Behauptungen vorgelegt wurde.
Muss Musa Cicek den Nachweis erbringen, dass er so eine Behauptung nicht gemacht hat oder muss die ETU nachweisen, dass Musa Cicek derartige Vorwürfe in den Raum gestellt hat?
Wenn die Anhörung nach rechtstaatlichen Prinzipien durchgeführt wird, dann muss die ETU den Nachweis erbringen, dass Musa Cicek solche Vorwürfe erhoben hat. Alles andere würde ja zu einem absoluten Chaos führen.
Reicht denn schon alleine so eine Behauptung ohne weitere Beweismittel aus, um Maßnahmen gegen Musa Cicek einzuleiten?
So eine Behauptung alleine würde nur dann ausreichen, wenn Musa Cicek erklärt, dass diese geäußerte Behauptung den Tatsachen entspreche. Er hat aber schon mündlich erklärt, dass er so was nie gesagt hätte.
Vielleicht sagt Musa Cicek nicht die Wahrheit?
Das ist natürlich möglich. Es ist aber auch möglich, dass die Behauptungen von der Person, mit der er telefoniert haben soll, nicht der Wahrheit entsprechen. Um diesen Nachweis zu führen, muss der Ausschuss noch weitere Beweismittel vorlegen.
Muss sich Musa Cicek bei dieser Anhörung zu den Vorwürfen äußern und wenn ja, muss er die Wahrheit sagen?
Auf beide Fragen lautet die Antwort „nein“. Musa Cicek wird ein falsches Verhalten vorgeworfen, das sanktioniert werden kann. Er hat deshalb den gleichen Status wie ein Beschuldigter oder Angeklagter in einem Strafverfahren oder ein Betroffener, dem eine Ordnungswidrigkeit vorgeworfen wird. Als Beschuldigter muss man keine Angaben machen, wenn man dies nicht möchte.
Viele wissen es vermutlich nicht, aber ein Beschuldigter muss nicht die Wahrheit sagen. Er kann auch ganz bewusst die Unwahrheit sagen, ohne dass ihm das zum Vorwurf gemacht werden darf.
Anders sieht dies allerdings bei Zeugen aus. Zeugen müssen immer die Wahrheit sagen. Wenn einem Zeugen nachgewiesen werden kann, dass er gelogen hat, kann das für ihn verheerende Folgen haben. In solchen Fällen sind Schadensersatzprozesse wegen der eingetretenen Rufschädigung keine Seltenheit.
Im Schreiben der ETU wurde angeführt, dass sich die Behauptungen auf den Äußerungen von zwei Personen stützen würden. Telefonieren kann man doch nur mit einer Person. Wie soll man das denn verstehen?
Tatsächlich kann Musa Cicek nur mit einer Person telefoniert haben. Die Aussage von den zwei Zeugen lässt eigentlich nur zwei Rückschlüsse zu.
Erstens, der Gesprächsteilnehmer von Musa Cicek hat den Wortlaut des Gesprächs einem Dritten erzählt, der dann alles in einem Protokoll vermerkt hat. Im Endeffekt ist dieses Weitererzählen natürlich auch kein Beweis. Es besteht dabei die Gefahr, dass sich die beiden unbekannten Zeugen gut kennen und so einen Vorwurf konstruieren wollen.
Die zweite Möglichkeit wäre, dass der Gesprächspartner des Telefonats heimlich aufgenommen hat und dass diese Aufnahme der ETU zugespielt wurde. Das wäre dann ein Beweismittel. Aber, die heimliche Aufnahme von Telefongesprächen ist eine Straftat gemäß § 201 Strafgesetzbuch. Wer so was macht, handelt kriminell und wird mit einer Geldstrafe oder mit bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe bestraft.
Wer macht sich denn bei so einem Delikt alles strafbar?
Wenn jemand ein Telefonat mitschneiden will, braucht er die ausdrückliche Genehmigung seines Gesprächspartners. Wer ohne diese Erlaubnis das nichtöffentlich gesprochene Wort eines anderen auf einem Tonträger aufnimmt oder eine so hergestellte Aufnahme gebraucht oder aber auch nur einem Dritten zugänglich macht, der macht sich strafbar.
Schon alleine das Abhören von so einer Aufnahme ist eine kriminelle Handlung. Auch schon das Veröffentlichen von einem aufgenommenen oder auch abgehörten Gespräch ist strafbar.
Was wäre denn, wenn ein Dritter das Gespräch über eine Freisprechanlage mitgehört hätte?
Auch in diesem Fall ist die Rechtslage eindeutig und absolut rigoros. Auch das heimliche Mithörenlassen ist unzulässig und verletzt die Persönlichkeitsrechte des Gesprächspartners. Wer jemanden mithören lassen will, muss seinen Gesprächspartner darüber informieren. Niemand muss nachfragen, ob jemand mithört!
Die Anhörung der ETU wird ja in Istanbul, also in der Türkei, durchgeführt. Greift denn dann das deutsche Strafgesetzbuch?
Das muss man etwas differenzierter betrachten. Falls es so eine Aufzeichnung eines Telefonats überhaupt gibt, dann wurde die Aufzeichnung des Telefongesprächs in Deutschland vorgenommen. Schon alleine deshalb greift das deutsche Strafgesetzbuch. Sofern es so eine Aufzeichnung gibt, könnte sie – und da bewegen wir uns stark auf dem Gebiet der Vermutung – vom zweiten Zeugen an die ETU weitergegeben worden sein. In diesem Falle hätten die beiden Zeugen eine kriminelle Handlung begangen.
Deutschen Staatsbürger werden aber auch im Ausland vor kriminellen Handlungen geschützt. In so einem Fall greift der § 7 Strafgesetzbuch.
Der ETU hat ja ihren Sitz in Athen und unterliegt deshalb wohl auch der griechischen Gerichtsbarkeit. Kann die ETU deshalb solche Aufzeichnungen benutzen?
Das würde natürlich automatisch dazu führen, dass zumindest der bislang noch unbekannte Gesprächsteilnehmer für seine kriminelle Handlung angezeigt wird und sich vor Gericht verantworten muss. Außerdem wäre das auch ein Verstoß gegen Art. 6 Absatz 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention.
Man kann aber schlichtweg nicht unterstellen, dass die ETU, bei dem es sich immerhin um einen olympischen Verband mit Sitz in Europa handelt, sich derartigen kriminellen Machenschaften bedienen würde. So etwas würde mit Sicherheit nicht als Beweismittel zugelassen werden.
Auch die Funktionäre dieses Ausschusses würden sich auf sehr dünnem Eis bewegen, wenn sie so eine Aufnahme besitzen würden. Man kann nur hoffen, dass die Beschwerde nicht wegen einer kriminellen Aufnahme zugelassen wurde. Wenn sie, was in einigen Nationen der Fall ist, auch noch im Ministerium beschäftigt sind, sind bei ihnen bei einem Verstoß sogar fünf Jahre Freiheitsstrafe vorgesehen.
In einem Schreiben an alle Vereine hat der NWTU-Präsident Antonio Barbarino darauf hingewiesen, dass gegen Musa Cicek ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde. Wie ist denn so was zu werten?
Prinzipiell gilt immer die Unschuldsvermutung. Das bedeutet, so lange jemand noch nicht rechtskräftig verurteilt wurde, hat er als unschuldig zu gelten. An diesen Grundsatz hätte sich eigentlich auch Antonio Barbarino halten müssen. Wer einen anderen nur auf Grund einer Behauptung in aller Öffentlichkeit an den Pranger stellt, um einen missliebigen Kandidaten eins auszuwischen, handelt sehr unmoralisch.
In seinem Interview in der Fachzeitschrift „Taekwondo aktuell“ vom Januar 2016 hat Antonio Barbarino erklärt, dass das momentan laufende Disziplinarverfahren gegen Musa Cicek würde auch nicht zur Beruhigung der Lage in Deutschland beitragen. Sind solche Äußerungen zulässig?
Sofern sich nachweisen lässt, dass Musa Cicek den NWTU-Präsident Antonio Barbarino mit Korruption in Verbindung gebracht hat, dann kann man dessen Ärger verstehen. Allerdings, und muss ein Landespräsidenten wissen, gilt bekanntlich die bereits erwähnte Unschuldsvermutung.
Warum verbreitet Antonio Barbarino in der Öffentlichkeit vorzeitig ETU-Internas und Details zu diesem Verfahren und zu einem Zeitpunkt, wo noch gar nicht klar ist, ob in dieser Angelegenheit überhaupt ein Verfahren stattfindet?
Nun, darüber lässt sich nur spekulieren. Es ist bekannt, dass der DTU-Vizepräsident frühzeitig seine Kandidatur für die NWTU-Präsidentschaft angekündigt hat. Möglich ist deshalb ein Einschüchterungsversuch gegenüber einem unliebsamen Konkurrenten oder auch ein „Deal“, nach dem Motto „Zieh zurück und ich sorge dafür, dass kein Verfahren eingeleitet wird“.
Im Bereich des Möglichen ist ebenfalls der Versuch, auf den zuständigen Leiter des Sanktion-Komitees einen gewissen Druck aufzubauen. Mit abschließender Sicherheit lässt sich diese Absicht aber nur von Antonio Barbarino selbst klären.
Ist ein solches Verhalten, also das Ausplaudern von Internas, eines ETU-Repräsentanten von der ETU sanktionierbar?
Ein klares Ja! Gemäß Statuten der ETU – und zwar laut dem Artikel 13.2 – ist der Schatzmeister für die jährliche Budgetplanung und die Bilanzanalyse zuständig.
Als Vertreter der ETU ist er ausdrücklich zur Diskretion und Zurückhaltung verpflichtet. Der Artikel 11 des „ETU-Ethic-Codes“ verpflichtet die Funktionsträger ausdrücklich zur Diskretion. Übersetzt steht dort unter anderem:
„Informationen, die Funktionsträger während der Ausübung ihrer Pflichten erhalten, gelten als vertraulich oder geheim.“
Wenn sich die ETU keinem Vorwurf aussetzen will, dann wäre sie demnach nach rechtsstaatlicher Auffassung verpflichtet, jetzt ein Verfahren gegen Antonio Barbarino einzuleiten, um diesen Verstoß zu ahnden.
Es ist bekannt, dass der NWTU-Präsident auf Grund der anstehenden Anhörung bei der DTU den Antrag gestellt hat, dass Musa Cicek die Prüferlizenz nicht mehr verlängert wird. Ist so ein Verhalten korrekt?
Nein, so ein Verhalten entbehrt jeder rechtlichen Grundlage. Auch und vor allem in so einem Fall gilt natürlich die Unschuldsvermutung. Bislang wurde kein Fehlverhalten nachgewiesen. Wer sich alleine nur auf so einen vagen Verdacht zu solchen Aktionen hinreißen lässt, sollte über sein Verhalten wirklich ernsthaft nachdenken.
Nur am Rande sei hier erwähnt, dass der zuständige Prüfungsreferent der NWTU einer Ausstellung der Prüferlizenz 2016 ausdrücklich zugestimmt hat. Die Prüferlizenz wurde im Übrigen erteilt, es ist also de facto kein materieller Schaden eingetreten.
Man kann aber davon ausgehen, dass in der NWTU noch einige klärende Gespräche geführt werden, wenn der Präsident gegen den Willen und ohne Wissen des – von den Vereinen gewählten – Prüfungsreferenten in dessen Kompetenzbereich tätig wurde.
Es klingt nicht sonderlich glaubwürdig, dass sich Musa Cicek gegenüber einer Person, die ihn später anzeigt, telefonisch Korruptionsvorwürfe geäußert haben soll. Klingt nicht alleine so eine Vermutung ziemlich konstruiert?
Auch wenn man der Meinung ist, dass Musa Cicek durchaus in der Lage ist, zwischen Freund und Feind zu unterscheiden und auch wenn sich der Vorwurf noch so seltsam anhören mag – auch für den Zeugen gilt die Unschuldsvermutung. Man muss wirklich abwarten, bei wem es sich um diesen ominösen Gesprächspartner handelt.
Allerdings, und das muss man wertfrei einräumen, klingt es schon recht merkwürdig, dass Musa Cicek einem ihm gegenüber so feindselig eingestellten Gesprächspartner solche Vorwürfe geschildert haben soll. Gerade deshalb muss man abwarten, welche Beweismittel vorgelegt werden.
In welcher Sprache wird denn die Anhörung in Istanbul durchgeführt?
Nach unseren Erkenntnissen wird die Anhörung in der englischen Sprache vorgenommen.
Was passiert, wenn man die englische Sprache nicht so gut beherrscht, dass man der Anhörung problemlos folgen kann?
Man kann als sicher unterstellen, dass der ETU-Ausschuss für alle Fälle einen gerichtlich vereidigten Dolmetscher bzw. eine Dolmetscherin bestellt hat. In so einem Fall muss ein Dolmetscher, ähnlich wie bei einer polizeilichen Vernehmung oder einer Gerichtsverhandlung in Deutschland, natürlich auch in der Lage sein, alle geführten Gespräche simultan zu übersetzen. Alles andere wäre nicht rechtsstaatlich.
Wer kommt denn für die Kosten auf, die so ein Simultan-Dolmetscher kostet?
Da Musa Cicek eine Verfehlung vorgeworfen wird, muss für diese Kosten natürlich die ETU aufkommen. Gemäß der gängigen weltweiten Rechtsprechung wird jedem Ausländer für seine Vernehmung kostenlos ein Dolmetscher zur Verfügung gestellt. Im Falle einer Anhörung ist dies natürlich analog zu sehen.